Arne Hollmann: Digitales Briefing geht auch nur mit Menschen

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Technologie soll helfen, den Alltag zu verbessern, heißt es. Bis ein mehrseitiges Briefing auf ein hilfreiches Produkt heruntergebrochen wurde, bleiben meist viel Zeit und Nerven auf der Strecke. Das wiederum kann tödlich für das Produkt selbst sein – die Welt digitaler Anwendungen dreht sich täglich schneller. Und sie ändert sich schneller als Unternehmensstrukturen und Gewohnheiten sich ändern lassen. Denn was bei „der Digitalisierung“ und „IT-Projekten“ oft vergessen wird: Ohne Menschen wird das alles nichts. Also? Mehr Menschlichkeit in Briefings, bitte.

Der amerikanische Softwareentwickler Melvin Edward Conway machte 1967 eine interessante Entdeckung. Wenn eine Organisation ein System entwickelt, wird dieses System immer ein Abbild der Kommunikationsstruktur der Organisation sein. Oder anders formuliert: Dein digitales Produkt bildet deine internen Silos ab. Und je schlechter die interne Kommunikation, desto deutlicher wird diese Struktur nach Außen offensichtlich.

Ehrlichkeit: Offene Fragen können Ausschlusskriterium sein

Das Dumme daran: Nutzer da Draußen kommen nicht unbedingt mit der Struktur des Auftraggebers zurecht, und sie ist ihnen im Zweifel völlig egal. Auf gut Marketing-Deutsch: Die User Experience leidet, Kunden sind frustriert, verwirrt oder brechen schlimmstenfalls mit dem unbestimmten Bauchgefühl von „das ist doch nicht seriös“ ab. Trotzdem lässt sich Conways Gesetz an vielen Websites, Apps und anderen Anwendungen belegen. Und es steht in vielen Briefings, meistens zwischen den Zeilen. Das sind die Stellen, an denen es schwammig wird, Informationen ausgelassen oder verallgemeinert werden. Für den Leser des Briefings oft ein Beleg für Unklarheit auf Seiten des Verfassers. Bei der Frage, ob sich die Teilnahme an Pitches und Ausschreibungen überhaupt lohnt, kann das zum Ausschlusskriterium werden. Unklarheit kostet Zeit und Geld, nicht selten stellt sie die grundsätzlichen Anforderungen auf den Kopf und dreht die Zielsetzung um 180 Grad. Das ist übrigens vollkommen in Ordnung, sofern die Expertise der Agentur an dieser Stelle gewünscht ist. Wenn nicht – kostet Unklarheit einfach nur Geld. Für beide Seiten.

Welche Information braucht eine Agentur also, um eine Aufgabe lösen zu können? Agentur-Standard-Antwort: Kommt drauf an. Hier darum der Versuch, auf ein allgemeines Niveau zu heben, worauf es eigentlich ankommt.

Fünf Fragen für mehr Menschlichkeit in digitalen Briefings:

1. Warum?

Es gibt viele gute Gründe, sich Unterstützung für ein Projekt zu suchen. Hier drei Beispiele, mit denen Digitalagenturen etwas anfangen können:

  • „Wir möchten unseren Kunden die Möglichkeit geben, sich selbst zu helfen, um unsere Service-Mitarbeiter zu entlasten.“
  • „Unser System ist nach zehn Jahren Wachstum derart komplex, dass die Kosten-Nutzen-Rechnung für die Datenpflege nicht mehr aufgeht.“
  • „Unsere Verkäufe sind vor zwei Monaten eingebrochen. Wir haben keine Ahnung, was wir tun sollen.“

Was all diese Gründe gemeinsam haben: Sie sind welche – sie formulieren transparent ein Problem, das gelöst werden soll. Statt des offenen „Warum?“ könnten wir über diesen Absatz auch schreiben: „Was ist das Problem?“ Und das ist nie „Die Website muss neu“. Sorry, aber das ist ein Lösungsvorschlag. Probleme haben einzelne Mitarbeiter, haben Kollegen, haben Kunden. Und Probleme sind – vollkommen menschlich – oft auch das Resultat aus Befindlichkeiten. Nur wenn man diese kennt, können sie angegangen werden.

2. Für wen?

Jede Kommunikation braucht einen Empfänger. Klingt logisch? Aufschreiben: Was macht den Empfänger aus? Wo lebt er, wie alt ist er (Zielgruppe), was beschäftigt ihn, was für eine Art Mensch ist er (Persona). Oder aber: Kunden wissen es nicht? Dann sollten sie dies kommunizieren. Kein Problem. Kunden sind sich nicht sicher? Auch kein Problem, solange sie es kommunizieren.

Was schnell zum Problem wird: pauschal „alle“ ansprechen. Denn „alle“ heißt nicht nur jede Altersgruppe, jedes Geschlecht, jede Region, jeder Kanal, jedes Endgerät, sondern auch jeder Kontext, jede Situation, jedes denkbare Interface. Der Kontext, in dem sich ein Nutzer bewegt, ist übrigens interessant zur Unterscheidung von B2B- und B2C-Umfeldern – sitzt da ein Mensch an seinem (oft eingeschränkten) Firmenrechner im Großraumbüro? Oder mit dem iPhone auf dem Hauptbahnhof, um zehn Minuten bis zum Anschlusszug zu überbrücken? Auch Business-Kunden sind Menschen und treffen emotionale Entscheidungen. Sie haben es verdient, mehr als nur ihre Job-Descriptions und Titel zu sein.

3. Wie viel?

Lassen Sie uns Klartext reden Agenturen arbeiten auch für Geld. Wie Auftraggeber wahrscheinlich auch. Deshalb sollten sie den budgetären Rahmen nennen. Das hat nur Vorteile: Agenturen machen keine Fässer auf, die diesen Rahmen sprengen. Und wecken somit gar nicht erst Begehrlichkeiten, die dem Kunden selbst später im Weg stehen. Und noch mal aus dieser Perspektive: Wie viel die Lösung eines Problems kostet, kann oft erst nach detaillierter Klärung interner und externer Einflüsse gesagt werden – je mehr das Briefing hergibt, desto besser.

4. Was gibt es schon?

Arbeitsweisen, Methoden, Security-Anforderungen, Server-Architektur, Content-Management-Systeme, Styleguides, Brandbooks, Intranet, Blogs, Customer Journeys, … Diese Liste kann sehr lang werden. Aber: Jeder Fetzen Information kann entscheidend dabei helfen, sinnvolle Wege aus der Misere zu finden. Was es übrigens meistens schon gibt: ein gewünschter Termin zum Livegang. Und gern noch die Information, ob dieser fest oder variabel zu verstehen ist.

5. Wer?

Um den Sack zuzumachen und auf Conway zurückzukommen – selten können Probleme in digitalen Landschaften ohne weitere Stakeholder und Abhängigkeiten gelöst werden. Und noch seltener werden Entscheidungen an nur einer Stelle getroffen. Das ist kein Geheimnis, wird aber oft so behandelt.

Daher unbedingt in die Liste:

  • Wer ist direkt am Projekt beteiligt?
  • Was ist ihre/seine Rolle im Projekt?
  • Wer trifft Entscheidungen?
  • Wie lang braucht er, um eine Entscheidung zu treffen?
  • Von wem ist seine Entscheidung abhängig?
  • Von wem ist die Umsetzung außerdem abhängig?

Und, nicht ganz unwesentlich:

  • Haben alle Beteiligten ein Interesse an der Lösung des Problems?
  • Gibt es vielleicht sogar Stellen, die die Lösung gezielt blockieren könnten?
  • Gibt es schon Stellen, die versuchen, das Problem zu lösen? Können Synergien geschaffen werden?
  • Haben alle Beteiligten das Briefing abgesegnet?

Agenturen beraten gern. Aber einiges können Kunden auch allein.

Um diese fünf Themenblöcke mit Fakten zu füllen braucht es oft Recherchearbeit und manchmal auch etwas Mut, um in den Dialog zu gehen. Die  Rolle von Agenturen als „digitaler“ Dienstleister erweitert sich vom Berater und Umsetzer immer weiter in die des Vermittlers zwischen Fachabteilungen und Interessengruppen. Mit dem Ziel, die Kommunikation aufrecht zu erhalten oder sogar erst aufzubauen, damit auch kleine Projekte nicht direkt ins Conwaysche Loch fallen. Wenn Kunden Agenturen darum bitten, tun diese viel, was Kunden auch selbst könnten.

Wir haben die wichtigsten Fragen zum Thema digitales Briefing übrigens kürzlich in einem Kartenspiel verpackt. Wie der “Reality Poker” funktioniert, erfahren Sie hier.

Von Arne Hollmann, Creative Director und Teamlead UX bei Fork.

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