Marco Zingler: Der Pitch – kein Königsweg bei Digitalprojekten

Als Mail versenden

Bei diesem Thema geht es nicht um das übliche Klagen der Agenturseite, denn natürlich könnte es immer noch ein bisschen besser gehen – es geht um einen Abwärtstrend, der große Auswirkungen auf Digitalagenturen hat, deren Kernkompetenz die digitale Transformation ihrer Kunden ist. Die „Pitcheritis“ ist eine pervertierte Form einer geschlossenen Ausschreibung, wie sie typisch für die Auswahl von Dienstleistern ist, die Kreativleistungen und kein Produkt verkaufen. Aus der an sich guten Idee, zur Auswahl einer Kreativagentur einer sorgfältig ausgewählten Gruppe von drei bis vier Agenturen eine beispielhafte Kreativaufgabe zu stellen, um so das kreative Potenzial auszuloten, ist ein Fass ohne Boden für die beteiligten Digitalagenturen geworden.

Es fängt damit an, dass sich offenbar immer weniger Fachabteilungen die Mühe machen, sich eine eigene Marktkenntnis über den für ihre Arbeit so wichtigen Digitalagenturmarkt anzueignen. Stattdessen wird einfach eine Vielzahl von Agenturen – sechs bis zehn sind nicht selten – in die Ausschreibung involviert. Auch wenn in der ersten Runde „nur“ ein Festpreisangebot für einen späteren Werkvertrag gefordert ist und die Kreativideen und Konzepte erst in Runde zwei präsentiert werden, müssen doch zur konkreten Kalkulation alle Funktionen, Features und technischen Grundlagen ausgearbeitet sein, damit man das Digitalprojekt kalkulieren kann. So durchlaufen sechs bis zehn Agenturen praktisch den ganzen Pitch-Prozess, um überhaupt ein valides Angebot stellen zu können. Und das selbstverständlich – entgegen der Empfehlungen aller Verbände – ohne Pitch-Honorar.

Was das für Digitalagenturen bedeutet, ist offenbar den wenigsten Kunden bewusst. Denn es ist mit ein paar Kreativideen und Pappen aus Don Drapers Zeiten angesichts der unangemessen großen Pitch-Aufgaben längst nicht mehr getan. Denn jede digitale Kreatividee bedarf flankierender Arbeit, um sie in das digitale Geschäftsmodell einzupassen. Das geht nicht ohne tiefe Prozessberatungs- und IT-Kompetenz. So verursacht ein Website-Pitch für ein mittleres Projekt von beispielsweise 250 Realisierungstagen leicht Aufwände von 40 bis 80 Projekttagen quer durch alle Fachabteilungen von Strategen über Designern bis hin zu Software Architekten und IT-Consultants. Sind die Aufgaben und Budgets noch größer, gibt es bei den Aufwänden nach oben keine klare Grenze. Das bedeutet, dass allen Agenturen zusammen mit einem einzigen Pitch dieser Art Aufwände zwischen 240 und 800 Projekttagen entstehen. Der Gesamtaufwand auf der Agenturseite ist also meist deutlich höher als das Projektbudget.

Wer außer den Digitalagenturen zahlt diese Zeche eigentlich? Natürlich die Bestandskunden, die sich zu Recht darüber wundern, dass die erfahrensten Agenturmitarbeiter weniger für sie als für den Pitch-Überlebenskampf arbeiten. Dabei übersehen sie leider, dass sie Teil dieser Abwärtsspirale werden, sobald sie selbst auf die unseriösen Pitch-Bedingungen einschwenken.

In einem aktuellen Fall eines Dax-Unternehmens, von dem ich als Sprecher der Agenturen im BVDW erfahren habe, wurden schon bisher alle Angebote ab 65.000 Euro ausgeschrieben. Nunmehr wurde diese Schwelle auf 25.000 Euro abgesenkt. Damit ist strukturell ausgeschlossen, als Digitalagentur Geld zu verdienen. Kann dies das ein Ziel eines Pitches sein? Dabei geht es interessanterweise oft um digitale Transformationsprojekte, die für den eigenen Erfolg der Kunden in der digitalen Revolution existenziell sind. Es werden also die Partner, die mit ihrer Kreativität und digitalen Expertise am meisten benötigt werden, leider gar nicht partnerschaftlich behandelt. Wen wundert es eigentlich noch, dass deutsche Konzerne in der Digitalisierung hinterherhinken?

Doch gleichzeitig stellen wir auch ein Umdenken unter den smarten Einkäufern und Fachabteilungen fest. Sie haben erkannt, dass es ihnen keinen Vorteil bringt, Digitalagenturen sinnlos bluten zu lassen, und gehen dazu über, bezahlte Workshops mit zwei bis drei Agenturen durchzuführen, über die sie sich informiert haben und mit denen sie sich eine Zusammenarbeit wirklich vorstellen können. Auch dieses Verfahren findet immer mehr Fürsprecher, und es ist nicht verwunderlich, dass diese Konstellationen bessere Resultate erzielen.

Marco Zingler, Vizepräsident BVDW / Denkwerk

Auf dieser Seite benutzen wir Cookies, um Ihnen das beste Webseiten-Erlebnis zu ermöglichen. Außerdem werden teilweise auch Cookies von Diensten Dritter gesetzt. Weiterführende Informationen erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.