Werbung: Und sie wirkt doch?!

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Dr. Martina Vollmer von Ipsos (links) und Roland Bös von Scholz & Friends (rechts)

Im letzten Jahr verging kaum eine Woche ohne neue Studien und Kongresse zur Werbeakzeptanz. Teils überboten sich die Absender dabei mit reißerischen Schlagzeilen: Zwischen „Vertrauen in Werbung steigt“, „Stoppt diese Werbung“ oder „Advertising ist tot“ konnte sich die Marketing Community beinahe aussuchen, welchen Aussagen und Umfragen sie nun glauben mochte. 

Die Zeit rund um den Jahresstart nutzte GWA-Vorstand Roland Bös für ein Gespräch mit Dr. Martina Vollmer von Ipsos über ihre persönliche Sicht auf die Forschung – nicht nur – zur Werbeakzeptanz, ein gutes Bauchgefühl sowie einen Ausblick auf das jüngst begonnene 2023.

Mal himmelhoch jauchzend, mal zu Tode betrübt. Warum waren Studien zur Werbeakzeptanz im letzten Jahr auf den ersten Blick teils so widersprüchlich?

Das ist wie so oft eine Frage der Definition oder Operationalisierung. Wenn man Leute beispielsweise fragt, ob sie Werbung im Internet stört, sagen viele ja. Natürlich surft niemand durch das Netz auf der Suche nach dem schönsten Werbebanner, sondern in der Regel ist man auf der Suche nach konkreten Inhalten.

Fragen wir im Sinne der Werbeakzeptanz User*innen jedoch, ob sie Werbung grundsätzlich akzeptieren, weil bestimmte Inhalte so entgeltfrei abrufbar sind, sehen die Antworten völlig anders aus. Wir wissen, dass Werbung dann von den meisten sehr gerne in Kauf genommen wird.

Manchmal entsteht der Eindruck, dass Umfrageergebnisse sich eher an den Interessen der Auftraggeber statt der Befragten orientierten … 

Ja, dem stimme ich zu. Dieses Eindrucks kann man sich oft nicht erwehren. 

Wie kann man in einem solchen Fall die Aussagekraft und Qualität von Studien und Umfragen schnell selbst prüfen?

Erst mal ist wichtig, dass Stichprobe und Verfahren offengelegt werden: Wer genau wurde gefragt, wie groß ist die Stichprobe? Und um die Aussagekraft einer Studie darüber hinaus beurteilen zu können, muss klar ein, was die Befragten eigentlich beantwortet haben. Denn durch die Art der Fragestellung lässt sich ein Antwortverhalten schon zu einem gewissen Grad steuern. 

Leidet neben solchen „Tricks“ die Aussagekraft von Erhebungen auch durch den zunehmenden Einsatz von Online Panels in der Markt- und Meinungsforschung?

Nein, unserer Erfahrung nach nicht. Menschen sind online deutlich leichter zu erreichen als über das Festnetztelefon. Dem muss Marktforschung auch Rechnung tragen. Vor zehn Jahren waren Ältere hierbei möglicherweise noch ausgeschlossen. Aber heute sind auch diese online sehr gut zu erreichen. Außerdem können Onlinebefragungen von dem jeweiligen Probanden beantwortet werden, wenn es im eigenen Tagesablauf am besten passt. Früher riefen Interviewer zufällig an und stellten Fragen, während den Interviewten auf dem Herd die Suppe überkochte.

Wie relevant sind Studien zur Werbeakzeptanz tatsächlich für die Investitionsentscheidungen von Werbetreibenden?

Nach meiner Erfahrung beeinflussen diese die Investitionsentscheidungen nicht sonderlich. Ich glaube, es herrscht die Einstellung vor, dass geworben werden muss, um ein Produkt zu launchen, um bei Konsument*innen präsent zu bleiben, um Wettbewerber zu verdrängen. Da wird die Akzeptanz für Kommunikation erst mal nicht wirklich eingepreist. Wer nicht wirbt, stirbt. Punkt.

Heißt das, wir können kritische Befunde zur Werbeakzeptanz einfach ignorieren?

Es sollte bei der Diskussion nicht oberflächlich um ein Ja oder Nein zu Werbung gehen. Sondern darum, wann Werbetreibende was wie und zu wem sagen. Wo passen Werbebotschaften optimal? Wie kann ich Kommunikation gestalten, dass sie mehr Unterhaltungswert als Nervpotenzial hat? Wie steche ich raus aus einem kommunikativen Einheitsbrei, der den Leuten zu Recht zum Hals raushängt. Welche Kommunikation, welche Information ist für meine Zielgruppe eigentlich relevant, was ist für sie wichtig?

Wenn man diese Punkte ernst nimmt und anspricht, wird Werbung nach meiner Erfahrung nicht nur akzeptiert, sie wird sogar gemocht! Es soll ja Spots geben, die sich Konsument*innen sogar freiwillig mehrfach anschauen …

Das zeigt auch unsere Erfahrung aus Daten, die uns Kunden direkt zur Verfügung stellen. Sollte man als Werbetreibender nicht ohnehin eher der eigenen Forschung vertrauen? Wo liegt der Unterschied zwischen individuellen und eher allgemein gehaltenen Untersuchungen?

Erst mal ist es schön, dass es allgemeine Untersuchungen gibt. Die können oft ein guter Ausgangspunkt ein. Aber oft reichen diese Daten nicht aus. Mit spezifischen Untersuchungen können wir beispielsweise bei einer Werbebotschaft evaluieren, wie sie wirkt, ob sie verstanden wird, ob sich Konsument*innen damit identifizieren können, ob das für sie glaubwürdig ist, welche Emotionen geweckt werden. Jede Marke ist schließlich anders, jede Werbeaussage, jede Zielgruppe. Eine tiefergehende Forschung macht in den allermeisten Fällen Sinn und liefert viel zusätzliche hilfreiche Erkenntnisse.

Kann sich eine solche maßgeschneiderte Untersuchung jeder Werbetreibende leisten?

Studien können ja unterschiedlich komplex und detailliert angelegt werden. Meistens findet sich eine passende Lösung. Außerdem sollte man bedenken, dass schon eine relativ schlanke Studie entscheidende Erkenntnisse darüber liefern kann, wie Media-Investments sinnvoll eingesetzt werden sollten. Das macht für die meisten Werbetreibenden schon Sinn.

Wie stark profitieren Marketer auf Kunden- und Agenturseite in Zeiten von Big Data überhaupt heute noch von ihrem Bauchgefühl?

Als Psychologin bin ich großer Fan des Bauchgefühls. Es ist eine Illusion zu glauben, dass jede einzelne Entscheidung auf Daten basieren kann. Natürlich haben gerade erfahrene Marketer oft ein gutes Gefühl dafür, was funktioniert und was nicht. Ich denke aber auch, dass dieses Bauchgefühl ab und zu mit Feedback der Konsument*innen und Daten validiert werden sollte. Nur so entwickelt man sich und sein Bauchgefühl stetig weiter.

Generationen von Marketer sind mit dem bis heute zitierten Bauchgefühl von Henry Ford groß geworden, die Hälfte seiner Werbung sei hinausgeworfenes Geld – er wisse bloß nicht, welche Hälfte. Müssen wir und Werbetreibende diese Befürchtung heute noch haben?

Wahrscheinlich stimmt das heute genauso sehr oder wenig wie im letzten Jahrhundert. Ein Teil jeder Werbeinvestition verpufft, das lässt sich nicht vermeiden. Die interessante Frage ist, ob wir besser darin geworden sind, mit unserer Kommunikation stets genau die richtigen Zielgruppen zu erreichen und diese auch zu gewinnen. Man könnte meinen, mit den technischen Möglichkeiten des Targetings müsste das mittlerweile alles ganz einfach sein. Aber Targeting ist eben nur ein Teil. Das zeigte auch die Diskussion um Werbeakzeptanz. Man sollte sich nicht damit zufriedengeben, die richtigen Targets gefunden zu haben. Nach wie vor basieren etwa 75 Prozent des Werbeeffekts auf der Kreation. Die muss relevant, empathisch und einzigartig sein.

Marketer ohne Bauchgefühl bleibt nur noch der Blick in die Glaskugel … Wird uns das Thema Werbeakzeptanz auch im neuen Jahr noch beschäftigen?

Eine Glaskugel habe ich leider nicht – aber die Hoffnung, dass es uns allen gemeinsam 2023 noch besser gelingt, Kommunikation zu entwickeln, an der wir alle Spaß haben, Agenturen, Werbetreibende und Konsument*innen, weil relevante Inhalte empathisch, kreativ und effizient vermittelt werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dr. Martina Vollmer ist promovierte Psychologin und arbeitet als Director im Bereich Creative Excellence bei Ipsos. Sie forscht seit 15 Jahren im Bereich der Werbe- und Kommunikationsforschung und untersucht dabei kreative Ideen von der ersten Big Idea bis zum finalen Creative für nationale und internationale Kunden.

Roland Bös ist GWA-Vorstand im Ressort Agentur-Kunden-Beziehung und Chief Growth Officer & Partner bei Scholz & Friends.

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